Samstag, 19. Februar 2011

Jim Rakete - Stand der Dinge


Fotoausstellung "Stand der Dinge"
Durch Zufall bin ich vor ein paar Tagen im Netz über einen Artikel gestolpert, der mich sofort interessierte. Der Starfotograf Jim Rakete hat über ein Jahr lang Filmschaffende für die Ausstellung "Stand der Dinge" (der Titel ist eine Anlehnung an den Film von Wim Wenders) abgelichtet, wobei inzwischen mehr als 100 Porträts zusammen gekommen sind. Die vollständige "Hall of Fame" wird im Sommer nächsten Jahres zur Wiedereröffnung des Deutschen Filmmuseums Frankfurt/Main zu sehen sein. Eine Preview mit ca. 40 Porträts gab es bereits letzten September auf der Photokina 2010 in Köln. Doch jetzt - passend zur Berlinale und etwas länger - können 101 Werke vom 10.02.-11.03.2011 in der Kunsthalle Koidl in Berlin-Charlottenburg für 5,- € Eintritt bestaunt werden.

Früher Umspannwerk - jetzt Kunsthalle
Na da hielt es mich heute nicht zuhause und ich machte mich trotz eisiger Temperaturen auf den Weg nach Charlottenburg. Ich fand schon die Geschichte der Kunsthalle Koidl interessant. Das ist kein abgehobener Kunsttempel, sondern ein ehemaliger "lost place", d.h. es war ein verfallenes Umspannwerk der Berliner S-Bahn, das der Unternehmer und Kunstmäzen Roman Maria Koidl vor ein paar Jahren saniert und im Inneren zu einer kleinen, langgestreckten Kunsthalle umgebaut hat. Eigentlich ist das Ganze eher ein einziger, sehr langer Raum mit drei Wänden und einer riesigen Glasfront. 

M. Ballhaus, Foto: Jim Rakete
Die großformatigen Fotografien (70x100 cm) von Jim Rakete haben sehr unterschiedliche Gefühle in mir ausgelöst, was sicher auch mit den abgebildeten Personen zu tun hatte. Ich habe zwar bei einigen Bildern versucht, meine persönlichen Empfindungen zurückzustellen und nur die gestalterischen Kriterien zu beachten, aber das gelang mir nicht immer. Wobei ich zugeben muss, dass ich nicht alle Filmschaffenden kannte, die dort aushingen. Man bekam aber am Eintritt einen Handzettel mit Namen aller Personen, ihrer Requisite und ihres bedeutendsten Films überreicht. Ja, der Gag bei diesen Porträts ist nämlich das Requisit, mit dem sich jeder ablichten lassen konnte. Das fand ich sehr aufschlussreich. Manche Männer ließen den Macho raus, während so sympathische Kerle wie der Kameramann Michael Ballhaus auf das Posieren mit einer riesigen Kamera verzichtete und stattdessen nur einen Viewfinder (eine Art Displaylupe für die Motivsuche) in der Hand hat. Kann natürlich auch sein, dass auf dem Balkon des Hotels Adlon eine andere Bildkomposition mit dem Brandenburger Tor im Hintergrund nicht so gut möglich gewesen wäre.  

H. Herzsprung, Foto: Jim Rakete
 
M. Adorf, Foto: Jim Rakete
Mario Adorf war der einzige Star, den ich sehr schätze und den ich dennoch nicht gleich erkannt habe. Sein Gesicht war mir zwar irgendwie vertraut, aber auf den ersten Blick hätte es für mich auch Christopher Lee sein können, der da unter der Schiffermütze in die Ferne blickte. Vielleicht lag es am Seitenprofil von rechts, das mir Adorf ein wenig entfremdete. Sehr beeindruckt hat mich das Porträt von Hannah Herzsprung. Was für ein intensiver Blick und dieser Gesichtsausdruck! Dazu die unscharfe, auf den Tasten des Klaviers klimpernde Hand. Dieses Bild hat mich sehr fasziniert. Auch die Aufnahme von Klaus-Maria Brandauer hat mich sehr angesprochen, während mich bei Natalia Wörner (ich hoffe, die war's, sie hing links von Hanna Schygulla) die abgeschnittenen Zehen geärgert haben. Waren die zu häßlich oder waren sie so schön, dass sie dem Gesicht Konkurrenz gemacht hätten?

Insgesamt fiel mir auf, dass alle Bilder nur sehr sparsam coloriert waren, was den Aufnahmen etwas Nostalgisches verlieh. Mir gefiel das sehr gut, es war eine wohltuende Abwechslung zu all den schreiend bunten Werbebildern, mit denen man täglich konfrontiert wird. Jim Rakete soll einmal gesagt haben, dass er perfekte Bilder langweilig findet und daher auch nachträglich manipulierten und "verschönerten" Fotos nichts abgewinnen kann. Keine Ahnung, ob diese Aussage stimmt. Beim Stöbern auf seiner Homepage bin ich bei einer Aufnahme von Bettina Zimmermann hängen geblieben, wo ich mich gefragt habe, ob hier nicht ein ganz bißchen am Weiß in den Augäpfeln retuschiert wurde. Auch bei Michael Ballhaus ist mir daraufhin aufgefallen, dass das Innere seines rechten Auges seltsam strahlend weiß ist. Da habe ich mich unwillkürlich gefragt: falls das tatsächlich Retuschen sind, was wurde dann ggf. noch retuschiert, was das laienhafte Auge einer Hobbyfotografin gar nicht erkennt? Ich habe dann beschlossen, dieser Frage nicht weiter nachzugehen, sondern eher zu hinterfragen, warum mich manche Fotos mehr angesprochen haben als andere. Selbst das Porträt von Mathieu Carriere, der mit ausgemergeltem, freien Oberkörper eine brennende Zeitung vor sich hält, ist absolut faszinierend, obwohl ich den Typen noch nie leiden konnte, auch vor seiner Dschungelzeit nicht. Aber das heißt ja nichts und vielleicht komme ich dem Geheimnis der Magie dieser Bilder noch auf die Spur.

Hommage an alle Filmschaffenden
Übrigens ist der kürzlich verstorbene Bernd Eichinger auch dort zu sehen. Statt mit Turnschuhen bekleidet steht er barfuß auf nasser Straße und hat seine Turnschuhe über die Schulter geworfen, ebenfalls ein sehr beeindruckendes Foto. Da das Shooting erst im Oktober 2010 stattfand, wird es wohl eine der letzten professionellen Aufnahmen von ihm sein. Solo hängt er gleich rechts vom Eingang an der Wand und schaut hinüber auf die vielen Porträts der anderen. Ich habe ihn erst zum Schluß richtig wahr genommen und den Aufhängeort als zusätzliche kleine Hommage empfunden. 

Bisher dachte ich immer, dass Profikameras preismäßig so bei 5.000-10.000 € liegen. Die Leica S2 mit 37,5 Megapixeln, die für diese Ausstellung zum Einsatz kam und deren erster Käufer werbewirksam Jim Rakete im Jahr 2009 war, kostet um die 20.000 € (nur der Body), Objektive dazu dann so zwischen 4.000-6.000 €. Frage während eines Interviews auf ComeUnited.Com: "Welche handwerklichen Kriterien zeichnen für Sie ein großartiges Bild aus?" Antwort von Jim Rakete: "Handwerkliches finde ich in diesem Kontext überschätzt – ein gutes Bild ist eines, das einen berührt – ein großes Bild ist eines, über das man nachdenkt."
Na ja, das sagt sich natürlich leicht mit optimaler technischer Ausstattung, aber trotzdem spricht mir diese Antwort aus dem Herzen. Ich habe schon viele technisch perfekte Bilder gesehen, die mich kalt gelassen haben und so manches fehlerhafte Bild hat mich berührt und lange beschäftigt. Bei Jim Rakete habe ich etliche Bilder gesehen, bei denen Handwerkliches und Seele perfekt vereint sind. Viele der heutigen Fotos beschäftigen mich immer noch und so werde ich wohl nicht umhin kommen, sie mir vor dem 11. März mindestens einmal erneut im Original anzusehen.